Prof. Dr. Lutz Frölich

Zur Person

Leiter der Abteilung Gerontopsychiatrie des Zentralinstitutes für Seelische Gesundheit (ZI), Mannheim

 

Fotos Froelich

 

Interview vom 19. Dezember 2008 mit Dr. Birgit Teichmann

 

Morbus Alzheimer beginnt schleichend und fast unmerklich. Man findet wiederholt sein Auto auf dem Parkplatz nicht oder verlegt immer wieder wichtige Dinge wie den Hausschlüssel. Hinzu kommen Wortfindungsstörungen und Schwierigkeiten bei der räumlichen und zeitlichen Orientierung. Zusätzlich sind die Betroffenen reizbarer und weniger belastbar. Aber auch lang anhaltender Stress oder Altersdepressionen können zu ähnlichen Symptomen führen.

 

Woran erkennt der Betroffene, oder seine Angehörigen, dass er unter Demenz leidet, wenn doch manche Anzeichen auch auf Stress oder den normalen Alterungsprozesses des Gehirns zurückgeführt werden können?

Das stimmt, das sind im Einzelfall manchmal schwierige Entscheidungen. Das Entscheidende bei der Alzheimer Erkrankung ist, dass die Gedächtnisstörung im Zentrum steht. Letztlich sind das Wichtigste die Rückmeldungen, auch von den Angehörigen, wenn die sagen: „Mensch, das hab ich doch schon drei-viermal erzählt“. Es wiederholen sich Dinge, es wiederholen sich die Vergesslichkeiten im täglichen Bereich. Die Frage, ob es sich um Alzheimerkrankheit handelt, lässt sich letztlich durch eine gute fachärztliche Untersuchung klären. Gerade im Frühstadium sind die Symptome uneindeutig, besonders bezüglich der Abgrenzung zur Depression. Bei anderen Demenzen als bei der Alzheimer Krankheit ist häufig eine Persönlichkeitsveränderung oder eine Verlangsamung noch ausgeprägter als die Vergesslichkeit. So dass sich hier sogar über eine fachärztliche Diagnostik hinaus empfiehlt, eine Gedächtnissprechstunde aufzusuchen, wenn es sie denn in der Nähe gibt. Hier wird durch weitere klinische Untersuchungen, durch neuropsychologische Tests und durch apparative Untersuchungsverfahren eine Klärung möglich sein.

 

Merken die Betroffenen im Frühstadium der Alzheimerdemenz das mit ihnen etwas nicht stimmt oder sind es eher die Angehörigen die aufmerksam werden?

Das ist sehr unterschiedlich, aber es ist doch in letzter Zeit zunehmend erkannt worden, dass die Patienten selbst auch ein eigenes Erleben ihrer Erkrankung haben und dieser nicht nur passiv unterworfen sind, ohne dies zu bemerken. Die allermeisten Patienten beklagen ihre Vergesslichkeit, sie merken, dass sich etwas geändert hat. Sie schreiben das aber im häufigsten Fall dem Alter zu und denken nicht, dass es eine Form von Erkrankung sein kann. Hier herrscht noch diese Begriffsverwirrung vor und auch das Altersstereotyp: Im Alter wird alles schlechter, wird weniger, und es ist noch nicht ins Bewusstsein der Bevölkerung durchgedrungen, das es sich bei der im Alltag behindernden Vergesslichkeit um eine Krankheit handelt und nicht um das normale Altern.

 

Und wie wird die Alzheimerkrankung diagnostiziert, um sie von anderen Demenzformen abzugrenzen? 

Durch die gute klinische Untersuchung, neuropsychologische Tests und eine Reihe von Labor- und Apparateuntersuchungen. Wenn man festgestellt hat, dass es sich um eine Demenz handelt, dann gilt herauszufinden, was ist die Ursache für dieses Demenzsyndrom ist.
Es werden immer wieder neue wissenschaftliche Tests vorgestellt, bei denen es erste Untersuchungsergebnisse gibt, die zeigen, dass man Gesunde von Alzheimerkranken eindeutig unterscheiden kann. Das Problem bei den ersten, häufig vielversprechenden Untersuchungsergebnissen liegt darin, dass die Ergebnisse an sehr klaren Untersuchungspopulationen gewonnen wurden. Zum Vergleich dienen dann ganz gesunde Menschen, vergleichbaren Alters natürlich und so weiter, aber ansonsten ohne weitere körperliche Erkrankungen, ohne unklare Befunde, so dass es eine nicht aus der Praxis stammende Vergleichsgruppe ist. Diese werden einer genauso klar und eindeutig diagnostizierten Population von Alzheimerkranken gegenüber gestellt. Ob der Test dann wirklich in der Praxis tauglich sein wird, zeigt sich erst in großen, multi-zentrischen Untersuchungen mit sehr unterschiedlich gearteten Kontrollpopulationen, also Gesunde, Kranke, körperlich Kranke, usw. und dann natürlich gerade bei den Fällen, wo die Zuordnung der einzelnen Erkrankungen bisher nicht gut gelungen ist. Zunächst ist man natürlich wissenschaftlich begeistert, solche Verfahren und Ergebnisse zu sehen, aber bis sich das in die Praxis umsetzt, ist noch ein weiter Weg, ähnlich wie bei Medikamentenentwicklungen.

 

Und wie sieht die Therapie zur Zeit aus?

Die Therapie ist davon geprägt, das man seit zehn Jahren Neurotransmitter basierte Therapieansätze hat, die eigentlich an der letzten Endstrecke der biologisch-molekularen Veränderungen im Gehirn ansetzen. Für die Behandlung der Alzheimer Krankheit verändern sie die besonders betroffenen Neurotransmitter Acetylcholin und Glutamat in bestimmter Weise, so dass dies zu einer bessere Funktion des Gewebes führt. Alle innovativen Medikamente, die man in den letzten 5 Jahren immer wieder entwickelt hat, sind ja bisher noch nicht von Erfolg gekrönt. Also alle Verfahren, die näher an der Ätiologie der Erkrankung ansetzen, und mehr an dem eigentlichen schädigenden Agenzien im Gehirn ansetzen. Durch die herausragenden Erkenntnisse der Grundlagenforschung zu Entstehung der Alzheimer Krankheit hat man ja in den letzten Jahren neue therapeutisch nutzbare Mechanismen entdeckt, z.B auf der Ebene der Anti-Amyloid-Strategien, z.B. also an metabolisierenden Enzymen für die Betapeptide bis hin zu Immunisierungsansätzen gegen die Ablagerung und gegen die Entstehung der toxischen Peptide. Es gibt derzeit eine Vielfalt von klinischen Prüfungen mit innovativen Substanzen in unterschiedlichen Entwicklungsstadien, so dass man guter Hoffnung sein kann, dass in einigen Jahren endlich wirksamere Medikamente zur Verfügung stehen werden, als das, was man bisher hat.

 

Das heißt zur Zeit ist die Therapie oder die Medikamente, die es gibt, nicht sonderlich wirksam?

Mäßig wirksam, aber insgesamt doch überzeugend, auch nach kritischer Bewertung ihres individuellen Nutzens sind die zugelassenen Medikamente für den Patienten sinnvoll. Also die Zeit des therapeutischen Nihilismus ist sicher vorbei. Es gibt im Moment mehr das Problem, dass die Medikamente in der Breite noch nicht richtig akzeptiert sind, weil viele Ärzte, und auch viele Betroffene, dem Vorurteil unterliegen, Alter mit Krankheit zu verwechseln und deshalb die Behandlungsbedürftigkeit einer Demenz nicht anerkennen. Auch ist es im Einzelfall manchmal schwierig, einen verlangsamten Abbau oder einen Stillstand der Symptome über längere Zeit als Therapieerfolg anzuerkennen. Die Medikamenten sind eine Möglichkeit, dem Patient und den Angehörigen für eine längere Weile „Atem schöpfen zu lassen“, aber sie führen nicht zu einem Rückgang der Symptome.

 

...und auch nicht zu einer Heilung?

Und sicher nicht zu einer Heilung!

 

Wenn die Alzheimerkrankheit nicht heilbar ist, welchen Sinn hat dann die Früherkennung? Nur eine längere Lebensqualität zu gewährleisten?

Die Medizin unserer Zeit ist natürlich primär konfrontiert mit nicht heilbaren Erkrankungen, alle Volkskrankheiten sind eigentlich nicht heilbare Erkrankungen. Es gibt verschiedene Antworten auf Ihre Frage. Zum ersten: Es ist immer gut, Klarheit über eine Situation zu bekommen und für den mündigen Patienten ist es natürlich auch ein großes Plus, dass man dann zu einem frühen Zeitpunkt über sein eigenes Schicksal selbst bestimmen kann. Zweitens, durch die Diagnoseklärung – und diese klinische Erfahrung ist ganz eindeutig, kommt es zu einer Minderung des Stresses im System der Familie. Das erleichtert die Nutzung eigener Ressourcen beim Patienten. Die gesamte Behandlung, Medikamente, Beratung und Informationen über die Erkrankung, stabilisiert die Situation des Patienten und seiner Familie und gewährleistet nicht nur bessere Lebensqualität, sondern bessere Funktionstüchtigkeit im Alltag. Und als Letztes gibt es nach einer echten Frühdiagnostik auch spezifische nutzbare Risikomodifikationen, die den Ausbruch und die Progression der Symptome vielleicht verzögern. Also das was man eigentlich sonst für Risikopatienten ohne Symptome propagiert, nämlich echte Prävention und Risikominderung, das spielt eventuell auch noch im Stadium der Erkrankung eine Rolle. Zu nenne sind körperliche Aktivität oder geistige oder psychosoziale Aktivierung, die alle die Alltagsfunktionen verbessert. Und natürlich die Behandlung von sogenannten Komorbiditäten, also Krankheiten die für sich alleine schon schädigend auf das Gehirn einwirken und die geistige Leistungsfähigkeit gerade im Zusammenhang mit der Alzheimererkrankung beeinträchtigen können. Alkoholkonsum, Diabetes Mellitus, Bluthochdruck, Fettstoffwechselstörungen um die Wichtigsten zu nennen. Also ich glaube es gibt viele Gründe, wirkliche Frühdiagnostik zu betreiben, und vor allen Dingen, Frühintervention zu betreiben.

 

Sie erwähnten gerade Prävention. Wie kann man sich denn vor Alzheimererkrankung schützen?

Also es gibt ein paar gehirnspezifische Ansätze, die auch eine neurobiologische Plausibilität haben, nämlich über die Förderung von synaptischer Plastizität. Dies sind körperliche Bewegung, soziale Interaktion, geistige Betätigung. Daneben gibt es natürlich generelle präventive Verhaltensweisen, die mit den Krankheiten zu tun haben, die auch das Gehirn schädigen können. Als Wichtigstes sind hier die kardiovaskulären Risikofaktoren zu nennen. Leider ist die Situation aber insgesamt noch unklar. Es gibt sehr überzeugende epidemiologische Studien, die die Risiko- oder Schutzfaktoren aufzeigen, aber es fehlen große Interventionsstudien, die positive Effekte einer Behandlung dieser Faktoren auf gesunde, ältere Menschen oder auf Risikogruppen beweisen. Ob dann die Einflussnahme auf diese Risikofaktoren wirklich zu einer Verschiebung des Auftretens von Alzheimererkrankung führt, muss noch geklärt werden. 

 

Was halten Sie von der Einnahme von Statinen, Omega 3 Fettsäuren oder sonstigen Dingen zur Prävention?

Im Moment laufen die entsprechenden klinischen Studien, wir selbst führen eine deutschlandweite Studie zur Wirkung von Statinen bei leichter kognitiver Störung. Es gibt derzeit international zwei Studien zur Bedeutung von Omega-3 Fettsäuren an solchen Risikopopulationen. Die Ergebnisse werden wir erst in ein einigen Jahren in Händen haben, so dass man im Moment nur Hinweise hat, dass diese Substanzen hilfreich sein können, aber bisher noch keine Beweise, dass sie wirklich wirksam sind.

 

Zum Schluss noch ein paar praktische Tips: Wenn jetzt jemand merkt, etwas stimmt mit ihm nicht, geht er zum Hausarzt, um das abzuklären? Wendet er sich an eine der Gedächtnisambulanzen? Oder welches sind die möglichen Wege?

Die medizinische Landschaft in Deutschland ist hier sehr unterschiedlich. Wir haben in unserer Region das große Glück mehrere gute Gedächtnisambulanzen zu haben, die sich spezialisiert mit der Abklärung leichter Vergesslichkeit beschäftigen, sowohl in Heidelberg wie auch in Mannheim am Zentralinstitut. Am häufigsten ist aber der erste Ansprechpartner der Hausarzt. Da gibt es Hausärzte, die sich schon intensiv damit beschäftigen, ein offenes Ohr haben und dann auch diese, für sie häufig unklaren Fälle, an einen Facharzt weiterleiten. Es gibt aber auch immer noch viele Ärzte, die diesem Thema nicht so aufgeschlossen gegenüber sind und auch nicht so gute Kenntnisse in diesem bereich haben, so dass der Patient da manchmal sich selber durch das Gestrüpp des Versorgungssystems durch kämpfen muss. Man sollte die Menschen ermuntern, sich beim Nachlassen der geistigen Leistungsfähigkeit nicht damit zu bescheiden oder zu sagen, dass ist halt normales Alter, sondern diese Probleme zu klären, denn nicht immer muss es Alzheimer sein und dann ist man eine Sorge los.

 

 

Zur Person

Lutz Frölich wurde 1956 in Neumünster geboren. Er studierte Medizin in Kiel und Heidelberg sowie an der University of Kentucky, Lexington, Ky. USA (Medizin- und Psychologiestudium). Seine beruflichen Tätigkeiten führten ihn nach Heidelberg, Würzburg und Frankfurt. Seit 2003 ist Lutz Frölich Leiter der Abteilung Gerontopsychiatrie am Zentralinstitut für Seelische Gesundheit (ZI), Mannheim.

Der wissenschaftliche Schwerpunkt seiner Arbeit liegt in der Entwicklung und Evaluation neuer Therapien bei Demenzen, der Erforschung des klinischen Verlaufs und neuropsychologisch-diagnostischer Verfahren bei Demenzen, sowie in funktionell-bildgebenden Verfahren bei psychiatrischen Alterskrankheiten.

Lutz Frölich ist verheiratet und hat zwei Kinder. In seiner Freizeit findet man ihn auf dem Tennisplatz oder beim Segeln - und das am liebsten in der Mani auf dem Peleponnes.

Seitenbearbeiter: E-Mail
Letzte Änderung: 11.06.2018
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